Nicht nur am 1. Mai (Tag der Arbeit) ist die Fahne des Kranken-Unterstützungsvereins der Cigarrenarbeiter zu Burgsteinfurt 1876 im Stadtmuseums des Heimatvereins an der Hohen Schule zu bewundern. ( Das Museum ist am Mittwoch von 14.30 bis 17.30 Uhr geöffnet). Die Stickereien auf rotem Grund sind Zeugnis dafür, dass die Burgsteinfurter Arbeiter mit zu den ersten gehörten, die sich gewerkschaftlich organisierten.
|
Tabakdose der Firma Rotmann |
Tabak wurde in Westfalen seit dem 30jährigen Krieg geraucht. Noch 1770 war es verboten, auf der Straße zu rauchen. Aus der Fassung der gräflich-steinfurtischen Brüchtenordnung von 1784 geht hervor, dass jeder bestraft wurde, der mit offener Pfeife auf der Straße angetroffen wurde. Die Strafe betrug einen Taler und 12 Stüber
Die erste Tabakfabrik in Burgsteinfurt wurde 1799 durch den Holländer Philipp Maximilian Daniel Victor Heye eröffnet. 1817 gründete der preußische Offizier Friedrich Rotmann die Tabakfabrik, die seinen Namen trug. Das Unternehmen expandierte, bereits 1855 waren 22 Arbeiter, darunter drei Kinder, beschäftigt. In den Folgejahren wurden Filialen in Wettringen (1871), Neuenkirchen, Leer (1907) und Rulle bei Osnabrück eröffnet. 1900 wurde das heute noch bestehende Gebäude an der Ochtruper Straße errichtet, in der die Ingenieurschule, die spätere Fachhochschule, 1963 ihre ersten Vorlesungen abhielt. Die Firma Rotmann ist1960 erloschen.
1788 entstand in Hamburg die erste Zigarrenfabrik in Deutschland. Beschäftigt wurden überwiegend angelernte Arbeiter. Im Frühjahr 1848 entstanden die ersten Arbeitervereine, die sich im September desselben Jahres zur „Association der Cigarrenarbeiter Deutschlands“ zusammenschlossen. Bereits 1851 soll in Burgsteinfurt ein Tabakarbeiterverein bestanden haben, Belege dafür gibt es im Steinfurter Stadtarchiv aber nicht. Im Zirkular Nr. 17 der Assoziation der Zigarrenarbeiter Deutschlands vom 4. Mai 1851 findet sich jedoch die folgende Notiz: Der Cigarrenarbeiter F. Comes aus Coblenz wird ersucht, mir seine Adresse baldigst zu senden. Neuenkirchen im Kreise Burgsteinfurt (Westphalen) Louis Harburo, per Addr. Hr. A. Mühren. In dem Zirkular wurden Mitteilungen der Haupt- und Zweigvereine der 1848 gegründeten Vereinigung sowie der von der Assoziation gegründeten Witwen-, Waisen- und Invalidenkasse aufgenommen.
|
Briefkopf der Firma Rotmann |
Ein preußisches Gesetz vom Mai 1853 verpflichtete private Versicherungsanstalten, ihre Statuten von den Behörden genehmigen zu lassen. Diese Genehmigung wurde den Witwen und Invalidenkassen der Zigarrenmacher verweigert – ein herber Rückschlag für die Gewerkschaftsbewegung.
Erster Beleg in Burgsteinfurt zur Geschichte der Tabakarbeiter ist die Fahne im Stadtmuseum. Die ab 1863 geführte Akte über das Vereinswesen erwähnt die Gründung des Burgsteinfurter Tabakarbeiterverbandes erst im Jahr 1878. Vier Jahre später schlossen sich die Burgsteinfurter dem Deutschen Tabakarbeiterverband an. Vorsitzender in Burgsteinfurt war Wilhelm Feld. Die Tabak- und Zigarrenindustrie war neben den Brauereien zu dieser Zeit größter Arbeitgeber am Ort. Bereits 1860 warb der Tabakarbeiter Wilhelm Fritsche von Bremen aus auch in Burgsteinfurt erfolgreich für die Gewerkschaft.
Tabakarbeiter aus dem Raum Krefeld kamen ebenfalls um 1860 nach Burgsteinfurt und sorgten für die Gründung von Unterstützungskassen, in das jedes Mitglied zehn Pfennig pro Woche einzahlte, um im Krankheitsfall die größte Not zu überbrücken.
Als 1882 der Tabakarbeiterverband in Bremen gegründet wurde, schlossen sich die Burgsteingfurter dem an.
![]() |
Die Fahne des Kranken-Unter-stützungsvereins der Cigarrenarbeiter ... |
![]() |
zu Burgsteinfurt 1876 ist im Stadtmuseum zu bewundern (beide Seiten). |
Erstmals für ihre Forderungen gestreikt haben die Burgsteinfurter Tabakarbeiter bei der Fabrik Rotmann 1872. In einem Bericht des Gemeindevorstehers heißt es dazu: „Die Sozialdemokratie hat hier an Boden verloren, nachdem die Inhaber einer Tabakfirma in Folge des im Jahre 1872 stattgehabten Streiks eine Fabrik-Ordnung aufgestellt und darin zur Bedingung gemacht haben, dass kein von ihnen beschäftigter Arbeiter einem sozialdemokratischen Verein angehören und sozialdemokratische Schriften, Zeitungen usw. mit in die Fabrik tragen darf.“
Der zweite größere Streik folgte 1906 und wurde mit einem halben Jahr Aussperrung beantwortet. Zu der Zeit verdienten Vollarbeiter durchschnittlich 575 Mark im Jahr, zu wenig, um den Lebensunterhalt zu decken, Frauen und Kinder mussten mitarbeiten. In Westfalen spielte die Heimarbeit mit fast 50 Prozent eine große Rolle. Eine westfälische Heimarbeitrerfamilie verdiente im Durchschnitt 11,30 Mark die Woche.
Zu wenig Platz, schlechte Luft und unzureichende Hygiene, die auch die Konsumenten gefährdete, wurden in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts von der Gewerbeaufsicht in den Fabriken bemängelt.
Während der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts kam in den Zigarrenfabriken der Vorleser auf, zumindest dort, wo das Sprechen während der Arbeitszeit nicht verboten war. Von populären Abenteuerromanen über Gedichte Georg Herweghs und Ludwig Freilinggraths bis hin zu den Schriften Ferdinand Lassalles und anderer Autoren der Arbeiterbewegung wurde fast alles vorgelesen“, schreibt Willy Buschak in seinem Buch „Von Menschen, die wie Menschen leben wollen“ über die Geschichte der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und ihrer Vorläufer.. Oft wurde derjenigen zum Vorleser bestimmt, der die schlechtesten Zigarren machte oder einer löste den anderen ab. Mit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung verschwand der Vorleser langsam, es wurden andere Bildungseinrichtungen angeboten.