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Nazi-Zeit war kein Schwarz-Weiß-Modell

Von Rainer Menebröcker

„The Village of Hate“ bezeichnete die englische Zeitschrift „The Soldier“ Burgsteinfurt, nachdem Ende März 1945 alliierte Truppen die Stadt besetzt hatten. Dr. Willi Feld hat anhand von Einzelgeschichten aufgezeigt, wie sich der Nationalsozialismus in Burgsteinfurt ausbreitete und welchen Einfluss dies auf das Zusammenleben der Bürger hatte. Band 1 über „Burgsteinfurt während der NS-Zeit“  - so der Titel des Buches - ist erschienen. Dr. Feld stellte ihn am 26. März (Dienstag) in Auszügen in der voll besetzten Niedermühle vor.

„Es gibt kein Schwarz-Weiß-Modell“, so das Fazit des Historikers. Zwischen denen, die vollständig hinter der nationalistischen Ideologie standen und denen, die sie total ablehnten, tat sich ein breites Spektrum auf. Das Buch handelt  auf rund 230 Seiten davon, wie sich die Menschen in unterschiedlicher Weise und Stärke auf den Nationalsozialismus eingelassen haben. „Mitgewirkt am Funktionieren des Systems haben sie alle“, ist Feld überzeugt.

Auf breiter Quellengrundlage hat der Autor über zehn Jahre die Aufsätze, die in dem Buch veröffentlicht werden, zusammengetragen. Aus dreien davon las er in der Niedermühle. Unter dem Titel „Das Haus in der Schulstraße“ wird das Leben der Familie de Vries, einem Ehepaar mit fünf Kindern, die im Haus Nummer 20 ein Lebensmittelgeschäft betrieb, rund um die Hohe Schule beschrieben. Joseph und Sara de Vries waren Niederländer. Joseph de Vries war zugleich Synagogendiener der jüdischen Gemeinde. Feld beschreibt die Familie als fromm und gesellschaftlich zurückhaltend. Ihr Antrag auf Aufnahme in den deutschen Staatsverband wurde abgelehnt. Die Kinder jedoch wurden später allesamt Deutsche.

Bis auf den letzten Platz war die Niedermühle beim Vortrag von Dr. Willi Feld besetzt. Foto: Menebröcker

Als im nationalsozialistischen Hetzblatt „Der Stürmer“ im September 1934 über 30 Burgsteinfurter Personen „angeprangert“ wurden, weil sie immer noch bei Juden kauften, wurde die Existenzgrundlage der de Vries zerstört. Als der Mob bei den Pogromen im November 1938 in ihrem Haus wahllos Gegenstände zerstörte, verließ das Ehepaar Burgsteinfurt Richtung Niederlande.

Das Haus Schulstraße 20 wurde am 22. März 1945 bei einem Bombenangriff zerstört.

In einem weiteren Aufsatz in dem Buch beschäftigt sich Dr. Feld mit dem Tod eines Hitlerjungen. Der 17-jährige Schüler Lothar Bauer beging am 26. September 1934 Selbstmord.

Breiten Raum in dem Buch nimmt das Wirken des damaligen Bürgermeisters Dr. Walter Schumann ein. Mit 29 Jahren wurde er 1931 unter 153 Kandidaten zum Bürgermeister gewählt. Nach der Machtergreifung im Januar 1933 trat er der NSDAP bei. Schumann war Mitarbeiter der Zeitschrift „Die nationalsozialistische Gemeinde“. Als Bürgermeister vertrieb er die die Juden vom Viehmarkt und aus der Badeanstalt sowie vom Schlachthaus. Im Zuge des Novemberpogroms ließ er die Wohnung in der Synagoge räumen und erhob keinerlei Einwände, als städtische Arbeiter sich daran machten, die Brandstifter mit Benzin zu versorgen, schreibt Dr. Feld. Anschließend habe der Bürgermeister einiges getan, um die Beteiligten am Burgsteinfurter Pogrom zu schützen, ihre Taten zu verharmlosen und ihre Aufklärung zu verhindern, so Feld weiter.

Das Entnazifizierungsverfahren bereitete Schumann zwar einige Probleme, er wurde aber entlastet. Im Mai 1948 wurde er zum Stadtkämmerer und später zum Stadtdirektor in Lünen gewählt. 1956 stieg er zum Oberstadtdirektor von Wilhelmshaven auf. 1968 erhielt er das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und wurde zehn Jahre später zum Ehrenbürger von Wilhelmshaven ernannt.

Die Entstehung des Buches wurde unterstützt durch den Landschaftsverband und die Kulturstiftung der Kreissparkasse. Den Scheck der Sparkasse überreichte Heinz-Bernd Buss in der Niedermühle. Er betonte, dass die Kulturstiftung dem Förderantrag einstimmig zugestimmt habe.

Dr. Willi Feld: „Burgsteinfurt während der NS-Zeit“, 227 Seiten, Lit-Verlag, ISBN: 978-3-643-14275-7, € 24.90.